Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen

Ausgehend von einer korrekten Belichtungsdauer von einer Sekunde wird der Blick in den Himmel gerichtet. Die Verschlusszeiten variieren nach der Anzahl der Menschen, die an jenem Tag an den Grenzen der Festung Europa gestorben sind. Erfasst sind sowohl ertrunkene Personen, als auch jene, die auf den Straßen oder - soweit bekannt - auf anderem Wege umgekommen sind. Je dunkler das Bild, desto mehr Opfer gab es. Tage, an denen in internationalen Pressespiegeln keine Opferzahlen angeführt werden, erscheinen im neutralen Grauton der korrekten Belichtung. Es wird pro Bogen ein Monat im Zeitraum von Juli 2014 bis Dezember 2015 dargestellt.

Diese menschlichen Schicksale werden in unseren Breiten allzu oft als Statistiken aufgezeigt, geschichts- und gesichtslos. Die abstrakte Betrachtung ist leicht von unserem Standpunkt aus. Wir sind daran gewöhnt und erfahren den Tod als Berechnungsgröße.

Ein weiterer zentraler Strang ist die Fertigung, die in einem eigens dafür im Ausstellungsraum errichteten Armee-Dunkelkammerzelt erfolgte. Alle Arbeitsschritte von der Erstellung der Bilder über die händische Entwicklung bis zur analogen Ausarbeitung der Prints geschahen unmittelbar vor Ort, wobei zu diesem Zweck eine Woche neben dem Zelt im Ausstellungsraum gewohnt wurde.

Der Titel stammt von Österreichs ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz, der diesen Ausspruch im Jänner 2016 getätigt hat.

18 Kontaktabzüge auf Barytpapier, 24 x 30,5 cm, gerahmt und hinter Museumsglas

Dunkelkammerzelt der deutschen Bundeswehr

Starting from a correct exposure time of one second, the view is directed to the sky. The shutter speeds vary according to the number of people who died that day at the borders of Fortress Europe. Included are those who drowned, as well as those who perished on the roads or - if known - by other means. The darker the picture, the more victims there were. Days when international press reviews do not cite victims appear in the neutral shade of gray of correct exposure. One month in the period from July 2014 to December 2015 is shown per sheet.

Another central strand is the fabrication, which took place in an army darkroom tent erected specifically for this purpose in the exhibition space. All work steps from the creation of the images to the manual development to the analog elaboration of the prints happened directly on site, and for this purpose a week was spent living next to the tent in the exhibition space.

Das Meer ist auch indirekt Thema von Kerstin Pflegers Serie Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen. Die analogen Einzelbilder bilden eine Visualisierung offizieller Statistiken der Todeszahlen im Mittelmeer während der „Flüchtlingskrise“ des Jahres 2015. Im Gegensatz zur ikonischen Fotografie des toten dreijährigen Aylan Kurdis am Strand, zeigt Pfleger keine Leichen, sondern hält ihre Bilder in abstraktem schwarz-weiß-grau. Je dunkler die Fotografie, desto mehr Todesopfer wurden an jenem Tag verzeichnet. Der Titel basiert auf einer Aussage von Sebastian Kurz (damals Außenminister, heute Bundeskanzler). Eine zynische Bestätigung der humanistisch zutiefst bedenklichen Tatsache, dass die Tode von Menschen, die dazu gezwungen waren vom Krieg zu fliehen, von vielen Europäer*innen als „Kollateralschaden“ wahrgenommen wurden. Pfleger scheint den vielen namenlosen Toten des Mittelmeers, die sich auf die gefährliche Reise in der Hoffnung auf ein besseres Leben machten, ein Denkmal zu setzen. Eine Erinnerung an sinnlose Tode, die durch eine weniger restriktive Immigrationspolitik verhindert hätten werden können.

 Amila Softić und Agnes Rameder (anlässlich der Ausstellung Gespaltene Welt, 2020)

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Hon'yaku (翻訳)

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Krawalle und Liebe